Da mag die Globalisierung noch so sehr in Siebenmeilenstiefeln fortschreiten – eine gute Nachbarschaft zählt auch heute noch. Weil die räumliche Nähe Kosten drückt, schielen deutsche Unternehmen mit mindestens einem Auge auf niederländische Partner. Und die positionieren sich als Zulieferer, um von der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands zu profitieren. Erfolgreich, denn deutsche Unternehmen schätzen die Flexibilität und Kreativität niederländischer Lieferanten. Eine Win-Win-Situation für beiden Seiten.
Ideengeber und Türöffner
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Eine Perspektive, die sich auch der deutsche Armaturenhersteller SchuF zunutze macht. Das Produkt – Antriebe des Unternehmens Rotork – stammt zwar eigentlich aus Amerika, wird aber bei den Händlern der niederländischen Niederlassung geordert. „Die Bestellung ist direkt in den USA möglich, ist aber in den Niederlanden unbürokratischer“, erklärt Beate Meißner, Marketing-Managerin bei SchuF. Und das ist wohl auch typisch niederländisch.
Mentalitätsunterschied als Vorteil
Ein Mentalitätsunterschied, der sich für deutsche Firmen auszahlen kann. Denn unbürokratischer bedeutet gleichzeitig weniger aufwendig und schneller. „Damit wird das Produkt günstiger“, betont Beate Meißner von SchuF. Und um einen Vergleich zu ziehen: sogar preiswerter als es ein entsprechender deutscher Händler war. Kommt schließlich außerdem die von deutschen Unternehmen gewünschte Zuverlässigkeit hinzu, stimmt das Gesamtpaket. Eine Win-Win-Situation für den niederländischen Lieferanten und den deutschen Abnehmer.
Das Unternehmen SchuF schätzt auch Lieferanten, zu denen es eine räumliche Nähe gibt.
Doch alle räumliche Nähe nutzt nichts, wenn das niederländische Unternehmen nicht wirkungsvoll auf sich aufmerksam macht. SchuF aus dem deutschen Eppstein stieß über das Internet auf den Antriebshersteller. Die Darstellung im Web muss also unbedingt stimmen. Und: Wer auf dem deutschen Markt Fuß fassen möchte, sollte sich idealerweise in deutscher Sprache präsentieren.
Expansion dank niederländischer Lieferanten
Niederländische Firmen als Lieferanten – für Melos ist die Zusammenarbeit mit Inhol die wichtige Zutat eines Erfolgsrezeptes. Das Unternehmen aus dem deutschen Melle, das Kunststoffe für Sport- und Freizeitbeläge sowie für Anwendungen in der Kabelindustrie herstellt, nutzt erfolgreich Inhols Produkt-Know-how und das Wissen über Technologien zur Produktion von Kabelcompounds. „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht und durch neu eingeführte Produkte sowie neu gewonnene Kunden in Expansionsmärkten unseren Umsatz gesteigert und die Geschäftsentwicklung positiv beeinflusst“, berichtet Luigi Di Bella, Marketing Manager Industrial Compounding bei Melos.
Dabei zeigte sich: Es müssen nicht immer große niederländische Lieferanten sein, die für deutsche Unternehmen attraktiv sind. Das Know-how muss stimmen und einen Mehrwert bieten. So habe die kleine niederländische Firma zwei Manager, die über eine jahrzehntelange Erfahrung im Kabelmarkt verfügen – und die ist von unschätzbarem Wert. „Sie eröffnen uns durch ihr Know-how, ihre Technologien und ihr Netzwerk neue Märkte, in die wir expandieren können“, ergänzt Di Bella.
Stark im Netzwerken
Aus Sicht von Melos beeindruckt aber das ganze Paket, bringen doch die Manager von Inhol nicht nur umfassendes Know-how mit. „Die Niederländer sind sehr kreativ, proaktiv.“ Sie besäßen starke soziale Kompetenzen, seien sehr gut im Netzwerken und im Auftun neuer Potenziale im Markt. Und sie sind „ideale Türöffner und haben einen guten Riecher für neue Geschäfte“, betont Di Bella. In Verbindung mit Produktionsfertigkeiten und der bekannten deutschen Zuverlässigkeit entwickelt sich ein unschlagbares Team.
Die Zusammenarbeit zwischen Melos aus Deutschland und Inhol aus den Niederlanden ist eine echte Erfolgsgeschichte, die ihren Anfang auf Kabelmessen und Konferenzen der Kabelindustrie nahm. Womit Messen also als eine wichtige Plattform für niederländische Zulieferer gelten dürfen, wenn sie deutsche Kunden mit ihren Produkten und Dienstleistungen sowie Know-how erreichen wollen. Deutsche Unternehmen schätzen und pflegen eben die Messekultur. Wer das beachtet, darf auf einen erfolgreichen Sprung ins Nachbarland hoffen.
Vergleichbare Maschinenbautradition
Neue Partnerschaften gilt es zu schmieden, doch es gibt seit langem zahlreiche deutsche Unternehmen, die die Zuarbeit der Niederländer schätzen. Beispielsweise Areva, dessen deutscher Hauptsitz sich in Erlangen befindet. Bereits seit Jahrzehnten arbeitet der Konzern mit niederländischen Firmen zusammen. „Deshalb wissen wir: Nicht nur hervorragende Fußballtrainer kommen aus unserem Nachbarland hinter den Deichen, sondern auch exzellente Industrieprodukte“, sagt Dr. Tomas Hahn, bei Areva in Deutschland für die Modernisierungsprojekte verantwortlich. Der Konzern mit Stammsitz in Paris ist ein Anbieter von Energieerzeugungsanlagen, dessen größtes Geschäftsfeld die Nukleartechnik ist.
Dr. Tomas Hahn, bei Areva in Deutschland für die Modernisierungsprojekte verantwortlich.
Die Niederlande besäßen, erklärt Hahn, eine mit Deutschland vergleichbare Maschinenbautradition. Aus Sicht von Areva kommt hinzu, dass die Niederlande ein eigenes Kernkraftwerk betreiben und deswegen über eine kerntechnische Industrie verfügen. „Da liegen notwendige Zertifikate und Zulassungen oft schon vor und wir können die Produkte einfach nutzen.“ So würden niederländische Komponenten auch in deutschen Anlagen oder anderswo in der Welt eingesetzt.
Konkurrierende Produktionsstandorte
Womit die Niederlande eine bedeutende Schnittmenge mit Deutschland besitzt: den Maschinenbau. Kein Wunder, dass Deutschland der wichtigste Exportmarkt für die Niederlande ist. Über 40 Prozent der Exporte werden übrigens nach Nordrhein-Westfalen geliefert. Und weil Deutschland wiederum intensiv in die Schwellenländer exportiert, wird es für die Niederlande zum Tor zu den Schwellenländern. Vom Aufschwung der aufstrebenden Länder vermag das Land dadurch ebenfalls zu profitieren.
Laut der Studie „Meine Industrie 2030“ der ING Bank bieten sich in Deutschland „Chancen für die niederländischen Metall-, Gummi- und Kunststoff-Bearbeiter, aber auch technische Dienstleister und Hightech-Zulieferer.“ Wächst die Zuliefererposition in Deutschland, verringert sich die große Abhängigkeit niederländischer Firmen vom europäischen Endmarkt. Sie müssen sich allerdings konkurrierender Produktionsstandorte in Mittel- und Osteuropa sowie Asien erwehren.
Kreativ in der Entwicklungsphase
Diesen Wettbewerb muss die Firma Schelde Exotech aus dem niederländischen Vlissingen derzeit nicht fürchten. Sie liefert mehrere Großkomponenten für eines der Areva-Sicherheitssysteme „und damit einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung mehrerer europäischer Kernkraftwerke“, erläutert Dr. Tomas Hahn. Die Kerntechnik stelle höchste Anforderungen hinsichtlich Sicherheit und Qualität. Aufsichtsbehörden und Gutachter verschiedener Länder seien in den Prozess eingebunden. Schelde Exotec erfülle die Anforderungen.
„Sie eröffnen uns durch ihr Know-how, ihre Technologien und ihr Netzwerk neue Märkte“
Areva weiß um die gute Zusammenarbeit – und die muss von deutscher und niederländischer Seite aus gepflegt werden. Deutsche Unternehmen legen hierauf großen Wert. „Wir stehen prinzipiell im engen Austausch mit unseren Zulieferern und führen beispielsweise Audits vor Ort durch“, so Hahn. Teilweise würden auch detaillierte Parameter der Fertigung gemeinsam erarbeitet. Das frühe Einbringen von Ideen und Kreativität bereits in der Entwicklungsphase – auch eine Stärke, für die niederländische Firmen geschätzt werden.
Geografische und kulturelle Nähe
Soll sich die Kooperation zwischen einem niederländischen und deutschen Unternehmen zu einem Erfolgsmodell entwickeln, muss man ihr die notwendige Zeit geben. „Der Geschäftserfolg kommt oft erst nach einer mehrjährigen Investition von Zeit, Geld und Energie“, heißt es in der Studie „Meine Industrie 2030“ der ING Bank. „Wer mit der deutschen Industrie ins Geschäft kommen will, muss auch unbedingt den deutschen Prozess und die deutschen Gepflogenheiten verfolgen.“ Dabei erweise sich aber die niederländische Anpassungsfähigkeit als sehr wertvoll. Das niederländische Kreditinstitut fordert eine intensivere „Deutschlandstrategie“.
Aber bleiben wir konkret. Neben der Topqualität schätzt Areva vor allem die gute Kommunikation und die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Zudem sei – etwa im Falle von Schelde Exotech – das Angebot wirtschaftlich wettbewerbsfähig. „Natürlich spielt die geografische und kulturelle Nähe zu unseren deutschen Standorten und unseren europäischen Kunden eine Rolle“, bilanziert Dr. Tomas Hahn von Areva. Na denn, auf eine gute und erfolgreiche Nachbarschaft also! Denn sie zählt … und zahlt.
Deutsche ausgabe Link Magazin 2017
Übersicht der niederländischen Pavillons auf der Hannover Messe 2017:
Holland Industrial Supply Pavillon: Halle 4; Industrial Supply,