Fraunhofer IPT in Aachen und Fraunhofer Project Center in Enschede (NL) machen Unternehmen „
künstlicher Intelligenz-bereit“
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen und die niederländische Universität Twente (UT) in Enschede arbeiten zusammen an Advanced Manufacturing. Das geschieht innerhalb des Fraunhofer Project Center for Advanced Manufacturing Technologies and Solutions (FPC@UT). Ein wichtiges Thema ist der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). Dabei geht es um die noch intelligentere Steuerung von Produktionsprozessen, darum, die Planung flexibler und anpassungsfähiger zu machen – adaptive Produktion –, und letztendlich um die Produktivitätssteigerung.
– Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie und Universität Twente in Enschede arbeiten zusammen innerhalb des Fraunhofer Project Center for Advanced Manufacturing Technologies and Solutions.
– Ein wichtiges Thema ist der Einsatz künstlicher Intelligenz.
– Es seien zahlreiche Anwendungen des maschinellen Lernens und der KI in der Produktion möglich.
– Das FPC hat ein Framework für die Transformation hin zum Advanced Manufacturing erstellt, das Advanced Manufacturing Program.
Adaptive Produktion ist die nächste Generation in der Produktion auf Basis der Industrie-4.0-Prinzipien: Das bedeutet in Echtzeit auf (wechselnde) Produktionsbedingungen zu reagieren mithilfe neuer Enabling-Technologien. „Häufig hängt die Reaktion auf Veränderungen in der Produktion noch von den Fähigkeiten und der Erfahrung des Operators ab“, erklärt Biba Visnjicki, Geschäftsführerin Business Development beim FPC. „Konventionelle Planungsmethoden greifen zu kurz und bilden einen Engpass bei der Steigerung der Produktivität. Darum übernimmt die Nutzung von Daten und digitalen Modellen allmählich die Produktionsplanung und -steuerung. Indem Datensysteme und physische Systeme aneinandergekoppelt werden, machen wir adaptive Produktion und Advanced Services möglich.“
Maschinelles Lernen
Das Fraunhofer IPT konzentriert sich auf die digitale Transformation und untersucht deshalb den Einsatz digitaler Lösungen für die Produktionssteuerung. Der Fokus liege dabei unter anderem auf der IT-Infrastruktur für die Verbindung von Mensch, Maschine und Daten und auf der Datenanalyse, sagt Thomas Vollmer, Abteilungsleiter Produktionsqualität. Innerhalb seiner Abteilung beschäftigt sich die Gruppe Prozessoptimierung mit dem Einsatz von KI, besonders mit dem maschinellen Lernen. Ziel ist es, die Steuerung von Produktionsprozessen intelligenter zu machen und zu adaptiven und schließlich autonomen, selbstoptimierenden Prozessen zu kommen. Am Fraunhofer IPT gehe es nicht um die Entwicklung von neuen KI-Algorithmen, sondern um die sinnvolle Anwendung in der Produktion, sagt Gruppenleiter Jonathan Krauß. Die erste Assoziation bei KI in der Produktion ist häufig die prädiktive Wartung, und auf diesem Gebiet forscht auch das Fraunhofer IPT, beispielsweise mit Hilfe von KI frühzeitig das Versagen von Komponenten in Werkzeugmaschinen vorherzusagen. Aber es seien zahlreiche weitere Anwendungen des maschinellen Lernens und der KI in der Produktion möglich, so Krauß. „Auf Grundlage eigener Forschung und unserer Erfahrung in Projekten haben wir sieben Anwendungsgebiete ausgemacht und auf Prozess, Produkt sowie Maschinen und Anlagen geclustert. Am Beispiel Design bedeutet das: Intelligentes Feedback auf Grundlage von Big Data hinsichtlich Produktnutzung und Prozessführung kann beim Optimieren des Produkt- oder Prozessdesigns helfen. Weitere Anwendungen von KI in Prozessen sind Optimierung von Scheduling und Routing und die prädiktive Prozesssteuerung. KI für Maschinen und Anlagen bezieht sich neben Predictive Maintenance auch auf die Identifikation von Anomalien und Abweichungen sowie auf selbstlernende Maschinen.
Unterschiedliche Sprachen
Das Fraunhofer IPT arbeitet hierzu mit zahlreichen Partnern zusammen, z.B. mit der RWTH Aachen im neuen Exzellenzcluster „Internet of Production“. Dabei geht es um die weitere Digitalisierung und Vernetzung der industriellen Produktion. Außerdem sind an den Projekten sowohl zahlreiche deutsche als auch ausländische Unternehmen beteiligt. Groß oder klein sei dabei nicht wichtig, sagt Vollmer. „Es geht darum, ob bei den Prozessen in den Unternehmen ausreichend Daten für eine sinnvolle KI-Anwendung gesammelt werden können.“ Relevant ist allerdings der Charakter der Produktion, nämlich große Serien gleicher Produkte oder eben die High-Mix-Low-Volume-Produktion, für die die niederländische Hightechindustrie bekannt ist. Je mehr sich die Produkte ähneln, desto einfacher ist es, einen KI-Algorithmus zu trainieren. Es gibt bereits KI-Methoden, die mit Variation in der Produktion umgehen können. Das Fraunhofer IPT untersucht, welche Methode für welche Produktionscharakteristik geeignet ist. Die Auswahl der besten KI-Algorithmen für eine bestimmte Anwendung sei sowieso eine der wesentlichen Herausforderungen, sagt Thomas Vollmer. Es erfordert die Kombination aus Fachwissen verschiedener Disziplinen, und deshalb die Zusammenarbeit zwischen IT-Spezialisten, Data Scientists und den jeweiligen Prozessexperten, die Kenntnisse vom Produkt und der Produktionstechnologie in einem besonderen Anwendungsfall haben. „Von Haus aus sprechen sie unterschiedliche Sprachen. Das Fraunhofer IPT kann als externer Sachverständiger alle Disziplinen miteinander ins Gespräch bringen.“
Advanced Manufacturing Program
Das FPC hat ein Framework für die Transformation hin zum Advanced Manufacturing erstellt, das Advanced Manufacturing Program (AMP). Als Partner des FPC unterstützt das Fraunhofer IPT häufig Projekte, die in diesem Framework definiert worden sind. Niederländische Unternehmen stehen insbesondere vor der Beantwortung von Fragen zur digitalen Architektur der Produktion und der globalen Struktur ihrer Aktivitäten in einer digitalen Umgebung, so die Erfahrung von Vollmer und Krauß. Der Fokus liegt dabei auf Daten: Welche Daten müssen zwischen welchen Menschen, Maschinen und Informationssystemen geteilt werden, welche Software wird dafür benötigt, und wie kann die physische Produktionsinfrastruktur in die IT-Infrastruktur integriert werden?
Niederländische Unternehmen sind aufgeschlossen gegenüber der digitalen Transformation, hätten aber noch nicht alle nötigen Kenntnisse in den relevanten Bereichen, beobachtet auch Biba Visnjicki (FPC). „Bei zwei großen Unternehmen führen wir jetzt ein Audit durch, um festzulegen, welche Technologien sie dafür innerhalb von zwei bis drei Jahren einführen müssen. Über unser Studententeam lassen wir Masterstudenten der UT untersuchen, welche Kompetenzen Unternehmen darüber hinaus noch fehlen. In der zweiten Jahreshälfte werden wir Workshops für KMU organisieren. Dann wollen wir in Enschede einen physischen Demonstrator für die adaptive Produktion umgesetzt haben.“ All diese Aktivitäten sind Teil des AMP, das darauf abzielt, den Osten der Niederlande zu einem Advanced Manufacturing Hub mit europaweiter Strahlkraft heranwachsen zu lassen. Eine andere Maßnahme ist die Entwicklung des Perron038, Innovationszentrum für die regionale Fertigungsindustrie rund um Zwolle. Das FPC fungiert dort als Technologiepartner u.a. für Produktionsmanagement, Robotik und Augmented/Virtual Reality. „Wir haben bereits einen Strategieplan für die Einführung von Schlüsseltechnologien in den nächsten Jahren aufgestellt. KI und maschinelles Lernen gehören dazu.“
Trainieren für KI
Die Transformation zur adaptiven Produktion übersteige die Grenzen eines einzelnen Unternehmens, betont Thomas Vollmer. „Bei Digitalisierung und Vernetzung muss die gesamte Wertschöpfungskette einbezogen werden.“ Das heißt also, sowohl Kunden als auch Zulieferer müssen eingebunden werden, denn ihre Daten werden entscheidenden Einfluss auf die Produktionssteuerung haben. Wenn die Kommunikation und aller Informationsfluss aufeinander abgestimmt sind, gebe es vier Herausforderungen für Unternehmen, die mit KI beginnen wollen, führt Jonathan Krauß an. Als erstes müssen sie einen Anwendungsfall auswählen, der sich für KI eignet. Dann müssen sie eruieren, ob sie ausreichend Daten für das Trainieren des KI-Algorithmus sammeln können. Falls ja, können sie den Algorithmus einsetzen, um sinnvolle Analysen und Vorhersagen zu generieren. Der letzte Schritt ist die Zertifizierung der Produktionsprozesse, wie beispielsweise in der Automobilindustrie gefordert. Das erscheint schwierig, weil KI den deterministischen Charakter der Prozesse beeinträchtigt. Fraunhofer hat dieses Problem erkannt und entwickelt derzeit entsprechende Lösungen.
Europäische Zusammenarbeit
Für die niederländische Industrie sei die Zusammenarbeit zwischen dem Fraunhofer IPT und der Universität Twente im FPC sehr wichtig, sagt Biba Visnjicki abschließend. „Es ist eine perfekte Partnerschaft: Das Fraunhofer IPT hat hochkarätige Kenntnisse hinsichtlich der Produktionsprozesse und -technologien, die UT kann mit umfassenden Kenntnissen auf der Datenseite aufwarten, nämlich welche Daten für die industrielle Produktion relevant sind und wie man die Daten in Information und Entscheidung umsetzen kann.“ Aber auch für deutsche Unternehmen hat sie eine Botschaft: „Es ist wichtiger als je zuvor, europäische Industrienetzwerke zu bilden, denn in der digitalen Produktionswertschöpfungskette müssen Partner aus unterschiedlichen Ländern nahtlos – mit dem Fokus auf Qualität und Geschwindigkeit – zusammenarbeiten können. Der Aufbau deutsch-niederländischer Netzwerke ist ein erster Schritt, und jedes Land trägt seinen Teil dazu bei: Deutschland als führende europäische Industrienation und die Niederlande mit ihren erstklassigen Zulieferern erster und zweiter Ebene.“
Hannover Messe: Integrated Production – Industrial Intelligence
Thema der Hannover Messe (1. – 5. April) ist in diesem Jahr „Integrated Production – Industrial Intelligence“: Die digitale Transformation der Industrie wird durch das Zusammenspiel der Automatisierungs- und Energietechnologie, IT-Plattformen sowie künstlicher Intelligenz vorangetrieben. Der Mensch spielt dabei die Rolle des „Enablers“, der seine Prozesskenntnisse einbringt und die KI-Algorithmen auf die richtige Weise mit relevanten Daten trainieren lässt, um sie bei der Prozessverbesserung einsetzen zu können. Natürlich gibt es noch entsprechende Herausforderungen in den Bereichen Interfaces, Protokolle und Sicherheit. Sie kommen sicherlich in einem umfassenden Kongressprogramm zur Sprache. Neu ist der Industrial Pioneers Summit zu Themen wie Digitalisierung, KI, Mensch-Maschine-Zusammenarbeit und Plattformökonomie. Zentrale Frage: Was kommt nach der Industrie 4.0? Redner aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft skizzieren zukünftige Entwicklungen und Szenarien.
Das Fraunhofer IPT präsentiert sich in diesem Jahr in Hannover gemeinsam mit dem International Center for Networked, Adaptive Production (ICNAP). Das ICNAP wurde von drei Fraunhofer-Instituten, u.a. dem IPT, sowie der RWTH Aachen und Partnern aus der Industrie gegründet. Es fungiert als offene Forschungsplattform und industrielle Testumgebung für die Entwicklung und das fertigungsnahe Testen innovativer Formen der digitalen Produktion. Auf der Messe möchte das ICNAP die Testumgebung vorstellen: Unternehmen können dort erfahren, wie sich physische Produktionssysteme in einer digitalen Fertigung verhalten. Das ist genau das, worum es bei Industrie 4.0 geht: cyberphysische Systeme.