„Die Präsenz ist wichtig – Potenzial gibt es noch reichlich“
In bewegten Zeiten mit Handelskriegen, bevorstehendem Brexit und wachsenden Schuldenbergen besinnt sich die deutsche Wirtschaft wieder stärker auf funktionierende Partnerschaften – beispielsweise mit den Niederlanden. Das Nachbarland gehört seit Jahren zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Grund genug für ein Update bezüglich aktueller Perspektiven für deutsche Unternehmen im Westen. Wo sehen sie weitere Chancen? Woran hakt es womöglich noch?
Eine gute Möglichkeit, im Nachbarland ins Gespräch zu kommen, bietet beispielsweise die Präzisionsmesse („Precisiebeurs“) im niederländischen Veldhoven nahe Eindhoven. Dort suchen rund 290 Aussteller aus allen Feldern der Präzisionstechnologie mögliche Kooperationspartner ? und potenzielle Kunden. Die Veranstaltung zieht verstärkt auch Unternehmen aus Deutschland an. Sie eint das gemeinsame Ziel: eine gezielte Stärkung der Kontakte in die Hightech-Region Eindhoven. Dort sind Unternehmen wie ASML, Philips und VDL daheim. Sie sind strukturelle Bestandteile des innovativen Technologie-Spitzenclusters, das sich in der Region Eindhoven gebildet hat – und international keinen Vergleich scheuen muss. Die Präzisionsmesse gibt der technologischen Leistungsfähigkeit der Niederlande ein Gesicht.
„Matchmaker“ unterwegs
Bei der 18. Auflage der Messe war auch die Wirtschaftsförderung Mönchengladbach (WFMG) mit einigen Partnern aus Nordrhein-Westfalen zum ersten Mal mit einem eigenen Stand vor Ort. USA, Südafrika, China – allesamt Ländernamen, die im deutschen Mittelstand im Zusammenhang mit Auslandsaktivitäten regelmäßig fallen. „Das Thema Niederlande wird dabei häufig vernachlässigt“, berichtet Rafael Lendzion von der WFMG. Für die Organisation ein wichtiger Grund, um über eine aktivere Teilnahme an der Präzisionsmesse Abhilfe zu schaffen. Lendzions Kollege Jan Herting betont: „Wir haben als Wirtschaftsförderung ein strategisches Interesse daran, diese spannende Messe in der Hightech-Region weiteren Unternehmen zugänglich zu machen.“ Lendzion und Herting verstehen sich als „Matchmaker“ zwischen niederländischen und deutschen Unternehmern.
Engagement ausgebaut
Um diese Rolle noch besser ausfüllen zu können, wurde der eigene Auftritt schrittweise weiterentwickelt. Vom reinen Besuch der Präzisionsmesse in den Vorjahren hin zu einem eigenen Stand, mit Begleitung der Mönchengladbacher Unternehmen CDL-Präzisionstechnik GmbH & Co. KG und gbm ? Gesellschaft für Bildanalyse und Messwerterfassung mbH. Frank Trepte, Vertriebsleiter bei gbm, unterstreicht die Notwendigkeit des Engagements: „Wir sitzen als Mönchengladbacher Unternehmen seit 1994 direkt an der niederländischen Grenze. Trotzdem schaut man oft nach Osten, nach Norden, nach Süden aber noch zu wenig nach Westen, sprich: in die Niederlande.“ Zwar gebe es bereits Verbindungen, jedoch noch zu wenige Kunden. „Genau um dies zu ändern, sind wir hier“, so Trepte weiter.
„Die Offenheit ist da“
Einige Schritte weiter ist die ACE Stoßdämpfer GmbH mit Sitz in Langenfeld. Ralf Küppers, Sales Manager Benelux beim Stoßdämpferhersteller, war bereits zum neunten Mal auf der Präzisionsmesse vertreten. „Die Messe ist übersichtlich, hier bewegt sich viel Fachpublikum. Sie liefert immer wieder erstaunliche Resonanzen. Es kommen jedes Jahr neue Kontakte zustande. Interessenten gehen aktiv auf uns zu. Wir erhalten Angebots- und Besuchsanfragen für technische Projektunterstützung, die Offenheit ist da“, freut sich Küppers. Die Kundenpflege sei in diesem Rahmen nur von untergeordneter Bedeutung. Küppers kennt Land und Leute seit vielen Jahren und spricht auch fließend Niederländisch. ACE ist in den Niederlanden auch auf anderen Fachmessen vertreten, in niederländischen Fachmedien präsent, schult Kunden mit einem Vorführwagen und pflegt enge Kontakte zu technischen (Fach)Hochschulen. Küppers: „Die Präsenz ist wichtig. Potenzial gibt es noch reichlich. Unsere Produkte werden von unseren niederländischen Kunden häufig als notwendiges Übel angesehen. Umso wichtiger ist es, gemeinsam über die Möglichkeiten zu sprechen. Das funktioniert.“
Gemeinsam innovativ
Das Ziel von ACE bringt Küppers wie folgt auf den Punkt: „Wir suchen den Austausch mit niederländischen Hightechunternehmen, um voneinander zu lernen. Angefangen bei Marktanalysen übers Brainstorming bis hin zur gemeinsamen Ausarbeitung von innovativen Projekten. Es geht um echte Partnerschaften.“ Die Voraussetzungen dafür seien bestens. Küppers schätzt die niederländische Kreativität und den Umsetzungswillen der Nachbarn. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Kooperationen sei die Fähigkeit, Kulturunterschiede zu kennen, zu akzeptieren und zu nutzen.
Lösungen für deutsche Schlüsselindustrien?
In der Automobilindustrie verweist Bernd Hermans auf das Thema Leichtbau das neben Digitalisierung/Künstlicher Intelligenz und Sicherheit einer der aktuellen „Megatrends“ ist. Dabei gehe es nicht nur um Materialoptimierungen ? Alu versus Stahl oder um kohlefaserverstärkte Kunststoffe ?, sondern auch um zunehmende Miniaturisierung. Hermans, der mit seinem Unternehmen chainconsult von Goch am Niederrhein aus Zulieferunternehmen und Hersteller im Automotive-Bereich berät und als Interimsmanager unterstützt, sieht Ansatzpunkte: „In dem Moment, wo niederländische Unternehmen zentrale Schnittstellen bedienen können, wird es direkt interessant.“ Das Angebot der Zulieferbetriebe in den Niederlanden sei hochwertig und vielseitig. „Ich bin davon überzeugt, dass in den Niederlanden ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet werden kann, Produktionsprozesse und Produkte präziser zu gestalten“, so der Automotive-Experte. Beispielsweise würde Nanomesstechnik zur Fertigung miniaturisierter Komponenten im Maschinenbau immer wichtiger. Zudem stiegen die Anforderungen der Original Equipment Manufacturer (OEMs) an die Halbleitertechnik. Speziell für alle Embedded Systems, die zum Beispiel für Autonomes Fahren erforderlich sind. Hermans: „In all diesen Bereichen passiert im Nachbarland eine ganze Menge.“
Keine Berührungsängste
Hermans war in der Vergangenheit unter anderem für DAF Trucks aus Eindhoven und Sensata Technologies aus Almelo tätig. Er schätzt die Niederländer als „offene und faire Businesspartner, die wissen, was sie wollen. Allerdings auf eine entspannte Art und Weise. Etwa vergleichbar mit den Norddeutschen.“ Die deutsche und niederländische Herangehensweise ergänzen sich nach seiner Erfahrung optimal. „Deutsche Genauigkeit und niederländische Hands-on-Mentalität ergeben in Kombination spannende Synergieeffekte.“ Auf dieser Grundlage ist Hermans gezielt auf der Suche nach niederländischen Tier-1-Zulieferern, die im Kontakt mit deutschen OEMs ihre Stärken voll zur Entfaltung bringen möchten. Hermans: „Ich bin gerne der Türöffner oder helfe bei der Qualifizierung von Komponenten und Systemen. Die deutsch-niederländische Zusammenarbeit schafft Win-win-Situationen – zumindest dann, wenn sie klar definiert ist. Ausgereizt sind die Möglichkeiten keineswegs. Potenzial ist noch reichlich vorhanden. Berührungsängste sind absolut fehl am Platz.“